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Atemrhythmus und Alltag

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Die Frage, wie oft man in der Minute atmen „sollte“, lässt sich nicht ganz mit einem festen Wert beantworten — sie hängt von Alter, körperlicher Aktivität, Gesundheitszustand und deiner individuellen Atemtechnik ab. Dennoch existieren Richtwerte und physiologische Zusammenhänge, die zeigen: Ein zu hohes Atemvolumen (also viele Atemzüge pro Minute) kann langfristig negative Folgen haben — insbesondere durch verstärkte Aktivierung des sympathischen Nervensystems. Wenn zusätzlich noch über den Mund geatmet wird, kommen weitere, teils gravierende negative Effekte (Erkrankungen, Degenerationen...) hinzu.

Im Folgenden möchte ich zunächst beleuchten, wie Atemfrequenz und vegetatives Nervensystem miteinander verknüpft sind, dann auf mögliche gesundheitliche Schäden eingehen, und schließlich die besonderen Nachteile der Mundatmung (vs. Nasenatmung) betrachten – inklusive Effekte auf den Naseninnenraum und die Gesichtsstruktur.


Atemfrequenz und sympathisches Nervensystem: Der Zusammenhang


Normwerte und Variabilität
  • Ein gesunder Erwachsener atmet in Ruhe typischerweise etwa 12–20 Mal pro Minute (manchmal werden auch 10–16 als idealer Bereich genannt).

  • Bei körperlicher Anstrengung oder in Stresszuständen steigt die Atemfrequenz („Tachypnoe“) deutlich an.

Ein Grundprinzip der Physiologie ist: Atemfrequenz und Tiefe der Atmung beeinflussen die Modulation des autonomen Nervensystems — insbesondere das Gleichgewicht zwischen aktivierendem (sympathischem) und beruhigendem (parasympathischem) Anteil.


Wie schnelleres atmen das sympathische Nervensystem anregt


  • Die Atmung wirkt direkt auf das sympathische Nervensystem (SNS) über Reflexbögen und über die Wechselwirkung mit baro- und chemorezeptorischen Systemen. Bei höherer Atemfrequenz spricht man von einer gesteigerten „respiratorischen Modulation“ des SNS (sympathisches Nervensystem) ScienceDirect+1

  • Studien zeigen: Eine hohe spontane Atemfrequenz korreliert mit erhöhter Muskel-sympathischer Nervenaktivität und stärkerer Empfindlichkeit der Chemorezeptoren (z. B. auf CO₂ oder O₂) AHA Journals.

  • Im Gegenteil: Wenn bewusst langsam und tief geatmet wird, dann steigt die Modulation zu Gunsten des Parasympathikus — wodurch eine Hemmung sympathischer Aktivität möglich wird. PMC+1

  • Bei Herzinsuffizienz oder chronischem erhöhten sympathischen Grundtonus haben Studien gezeigt, dass langsame Atmung helfen kann, den sympathischen Anteil zu senken. Physiology Journals

  • Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass man durch bewusste Atemreduktion (z. B. 6 Atemzüge/Minute) positive Effekte in physischer und psychischer Hinsicht erzielen kann. BioMed Central (Botenko, ein russischer Arzt hat die 5-5 Methode "entwickelt" (5 sec. ein, 5 sec. aus, so kommst du auf 6-5 Atemzüge pro Minute)).

Diese Daten deuten darauf hin: Je höher die Atmungsfrequenz (v. a. bei flacher Atmung), desto stärker wird das sympathische System stimuliert bzw. weniger stark durch den parasympathischen Anteil gebremst.


Mögliche Folgen einer chronisch erhöhten sympathischen Aktivität


Ein dauerhaft überaktives sympathisches Nervensystem (durch Stress, zu schnelles Atmen etc.) kann sich negativ auf viele Körpersysteme auswirken:

  • Herzkreislaufsystem: Erhöhter Blutdruck, erhöhte Herzfrequenz, Gefäßverengung, chronische Belastung des Herzens

  • Stoffwechsel: Förderung von Insulinresistenz, Störung des Glukosestoffwechsels

  • Immunsystem / Entzündungsprozesse: Chronische Sympathikusaktivierung kann entzündungsfördernd wirken

  • Verdauungssystem: Verminderte Aktivität von Magen-Darm-Funktionen, schlechtere Verdauung

  • Schlaf und Erholung: Erhöhter Erregungs- und Wachheitsgrad, schlechtere Erholung

  • Stressresilienz: Geringere Fähigkeit, auf Stress zu reagieren oder sich davon zu erholen

Daher ist eine moderate und ruhige Atmung – jedenfalls in Ruhe – oft hilfreich, um das parasympathische Gleichgewicht zu unterstützen.


Zu viele Atemzüge pro Minute: Was sind die Risiken?


Wenn jemand dauerhaft viele Atemzüge pro Minute macht (also eine relativ hohe Atemfrequenz bei eher flacher Atmung), dann treten typischerweise folgende Probleme auf:

  1. Hyperventilationstendenz: Viele schnelle Atemzüge führen oft zur übermäßigen Abatmung von CO₂ — ein Zustand, der zu respiratorischer Alkalose oder zumindest zu Schwankungen im CO₂-Pegel führen kann. Ein niedriger CO₂-Spiegel kann Blutgefäße verengen, die Sauerstoffabgabe an Gewebe beeinträchtigen und ein Gefühl von Enge, Schwindel oder Kribbeln fördern.

  2. Verstärkte Sympathikusreaktion: Wie oben beschrieben kann eine höhere Atemfrequenz zu stärkerer sympathischer Aktivierung führen — und damit zu Stressverstärkung, Herz-Kreislauf-Belastung etc.

  3. Ungünstige Atemmechanik / Muskelermüdung: Viele schnelle Atemzüge führen eher zu Brust- (Rippen-) Atmung anstatt Zwerchfell- (Bauchatmung). So werden zusätzliche Atemhilfsmuskeln (Nacken, obere Brustmuskulatur) stärker belastet und leichter ermüdet. Dadurch kann der Parasympathikus noch weiter gestresst werden, wenn sich an der Schädelbasis und die Muskeln am Hals verspannen. Es kommt zum "Engpass" für die Nerven, um effizient im Körper anzukommen.

  4. Verminderte Atemeffizienz: Bei flacher, schneller Atmung wird weniger frische Luft (mit hohem Sauerstoffanteil) effektiv in die Lungenbasen geführt — also zu geringerer Ventilation in gut durchblutete Regionen — wodurch der “Totraumanteil”(der Teil der Lunge, der kleinsten Lungenbläschen, die nicht ausreichend belüftet werden) relativ steigt.

  5. Auswirkungen auf Stress- und Hormonachse: In Kombination mit chronischem Stress kann diese Form der Atmung zur Dysregulation der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse beitragen und so langfristig das Risiko für Burnout, Schlafstörungen und hormonelle Ungleichgewichte erhöhen.


Kurz: Viele Atemzüge pro Minute sind nicht per se krank, aber im Dauerzustand und mit ungünstiger Technik können sie den Körper in Richtung eines höheren Erregungsniveaus drücken.


Mundatmung: Warum besonders problematisch?


"side project"
"side project"

Viele Menschen mit hoher Atemfrequenz greifen automatisch zur Mundatmung — besonders, wenn der Nasenweg als zu “eng” oder blockiert empfunden wird. Doch diese Umstellung bringt spezifische Nachteile mit sich — sowohl für das Nervensystem als auch für die Anatomie.


Allgemeine Nachteile der Mundatmung


  1. Fehlende Filterung, Befeuchtung und Erwärmung: Die Nase hat ein gut gemanagtes Filtersystem (Nasenhaare, Schleimhäute, Nasenknorpel, die als Schnecken gewunden sind (s.o.), um somit die Atemluft stärker zu reinigen und anzuwärmen), befeuchtet und erwärmt Luft, bevor sie zu den Lungen gelangt. Bei Mundatmung fällt dieser Vorfilter weg — Partikel, Keime und Kälte gelangen ungefiltert tiefer ins Atemsystem. Wikipedia+2Frontiers+2

  2. Trockenheit von Mund, Rachen und Schleimhäuten: Da Luft schneller und weniger befeuchtet einströmt, trocknen Mund, Rachen und Schleimhäute stärker aus. Dies kann die lokale Immunabwehr schwächen und Entzündungen fördern.

  3. Verlust des Stickstoffmonoxid-Effekts: Bei der Nasenatmung wird Stickstoffmonoxid (NO) produziert, das antimikrobielle und vasodilatatorische (Erweiterung der Blutgefäße) Effekte in der Lunge und im Gefäßsystem hat. Bei der reinen Mundatmung fehlt dieser positive Effekt. Wikipedia+2Frontiers+2

  4. Erhöhtes Risiko für Zahn- und ZahnfleischerkrankungenTrockenes Milieu, vermehrter mechanischer Einfluss und reduzierter Speichelfluss begünstigen u.a. Karies, Gingivitis und Parodontitis. Frontiers+1

  5. Schlafstörungen und Mundatmung im Schlaf: Menschen, die durch den Mund atmen, neigen eher zu Schnarchen und obstruktiver Schlafapnoe — was wiederum zu intermittierender Hypoxie (Sauerstoffmangel), Schlaffragmentierung und erhöhter sympathischer Aktivität führt. Cleveland Clinic+2Frontiers+2

  6. Beeinträchtigung der Atemmuster und Atemmuskulatur: Da der Mundweg oft geringeren Widerstand bietet, tendiert man zu schnelleren und flacheren Atemzügen. Das kann die Koordination und Effizienz der Atemmuskulatur stören.


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Anatomische und strukturelle Auswirkungen auf Naseninnenraum und Gesicht


Wenn Mundatmung über längere Zeit zur Gewohnheit wird (besonders im Kindes- und Jugendalter), zeigen sich erhebliche Veränderungen:

  1. Veränderungen der Gesichtsanatomie („Mouth Breathing Face“)

    • Studien zeigen, dass Mundatmer signifikant höhere mandibuläre Ebenenwinkel (mandibular plane angle), vergrößerte gesamte und untere vordere Gesichtshöhe und verringerte hintere Gesichtshöhe aufweisen. PMC+2Frontiers+2

    • Die Form des Kiefers wird oft „vertical growth pattern“ genannt: Ein Gesicht, das in der Höhe zunimmt, mit zurückweichendem oder niedrigem Kinn (Retrusion). PMC+3PMC+3BioMed Central+3

    • Weitere Merkmale: schmale Oberkiefer, enge Zahnbögen, offene Lippenstellung (Inkompetenz der Lippen), Vorverlagerung der oberen Zähne (Proklination), Konvexes Gesichtsprofil (stärkere Wölbung) ScienceDirect+3PMC+3Frontiers+3

    • Manche schreiben dem „Adenoid Face“ eine spezielle Gestalt zu: flaches Nasenbein, hervorstehende Oberlippe oder ein relativ schmaler Mittelgesichtsteil. Mark A. Cruz DDS+2PubMed+2

    • In Tierversuchen (z. B. bei Affen) wurden bewusst die Nasenöffnungen verlegt, sodass die Tiere durch den Mund atmen mussten. Daraufhin entwickelten sich Fehlstellungen der Kiefer und Zähne, längere Gesichter und schiefe Zahnbögen. Palmetto Smiles of Beaufort

  2. Unterentwicklung von Kiefer und Gaumen

    • Bei vielen Kindern mit chronischer Mundatmung werden Oberkiefer und Unterkiefer weniger in Breite und Höhe ausgebildet, da der Zungenkontakt zum Gaumen vermindert ist. BioMed Central+2Frontiers+2

    • Der Gaumen kann sich verengen (hoher Gaumen), was wiederum den Nasenraum einschränkt. PubMed+3BioMed Central+3Frontiers+3

    • Die Rotation des Unterkiefers nach hinten und unten wird begünstigt (posteriores Drehmoment) — was die Atemwege zusätzlich einengen kann. BioMed Central+2Frontiers+2

  3. Weichteilveränderungen im Naseninnenraum und Schleimhäuten

    • Durch den reduzierten Luftstrom über die Nasenschleimhäute können diese weniger stimuliert werden und degenerieren leichter oder reagieren empfindlicher auf Entzündungen

    • Eine Inaktivierung der Nasenwege kann zu Hypoplasie (unterentwickeltem Nasenraum) oder verkleinerten Nasengängen beitragen

    • Schleimhautatrophie oder Anfälligkeit für chronische Rhinitis ist möglich

  4. Funktionsmuster und muskuläre Dysbalancen

    • Die Balance zwischen Zunge, Wangen und Lippen ändert sich. Eine tiefere Zungenposition (wegen geöffnetem Mund) reduziert den druckmäßigen Einfluss der Zunge auf den Gaumen (der diesen stimulieren würde)

    • Dadurch entsteht eine Dysbalance zwischen Innen- und Außenseite der Kieferknochen

    • Orofaciale Myofunktionelle Störungen (OMD, z. B. Zungenpressen, Schluckanomalien, falsche Mundhaltung) sind häufig assoziiert mit chronischer Mundatmung Wikipedia+1


Diese strukturellen Effekte sind bei Kindern stärker ausgeprägt, solange die Knochen noch plastisch sind. Bei Erwachsenen sind Veränderungen weniger dramatisch, aber chronische Mundatmung kann dennoch zu einer beschleunigten altersbedingten Verschlechterung führen (z. B. durch schwächere Gewebeunterstützung, Falten oder Muskelschwund im Gesicht) sleepandsinuscenters.com+1.


Und noch etwas ist gut zu wissen


In den vergangenen Jahren nahm die Nasenkorrekturen zu und für die Schönheit wurden schon viele Nasen verkleinert, begradigt und was noch alles. Doch das führt auch dazu, dass die Nase nicht mehr in ihrer vollen Funktionalität arbeiten kann. Oftmals muss etwas "weggeschnitten", verändert werden, was die Natürlichkeit der Nasentätigkeit beeinflusst.

Wir Menschen sollten es uns gründlich überlegen, ob wir "der Schönheit willen", wir unseren "Zinken" verändern lassen und dafür in Kauf nehmen, in unserer natürlichen Atmung eingeschränkt werden. Dies zieht, wie oben schon beschrieben, gravierende Nachteile mit sich. Auf die Zeit gesehen.


Fazit & Empfehlungen


Das zentrale Motto lautet: Nicht die Menge der Atemzüge ist per se entscheidend, sondern deren Qualität, Tiefe und Technik. Eine moderate Atemfrequenz mit ruhiger, tiefer und möglichst nasaler Atmung ist tendenziell gesünder, da sie das parasympathische Nervensystem unterstützt und übermäßige Sympathikusaktivierung vermeidet.

Besonders kritisch wird es, wenn viele Atemzüge mit Mundatmung kombiniert werden — denn dann drohen langfristig strukturelle Veränderungen im Gesicht, Schwächung von Schleimhäuten, gestörte Atemtechnik, schlechtere Schlafqualität und Stressverstärkung.

Ein paar Empfehlungen:

  • Bewusst auf nasales Atmen achten — tagsüber und nachts

  • Atemübungen (z. B. langsame Bauchatmung, Zwerchfellatmung) integrieren

  • Ursachen von Nasenbehinderungen abklären lassen (z. B. Allergien, Polypen, Septumabweichung, vergrößerte Mandeln)

  • Bei Kindern früh intervenieren (HNO, Kieferorthopädie, myofunktionelle Therapie, kindliche Atempraxis)

  • Im Alltag auf Haltung, Kiefer- und Zungenposition achten

  • Mundpflaster

 
 
 

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