Breathwork und die Polyvagal-Theorie nach Stephen W. Porges: Wie der Atem das Nervensystem reguliert
- Ina Marino
- vor 2 Tagen
- 5 Min. Lesezeit

Der folgende Text ist als kleines Verständnis zur Breathwork und der Polyvagaltheorie zu verstehen. Er ist nicht vollständig. Dies ist nicht das Bestreben, sondern eine kurze Erklärung und Einführung in eine wundervolle Arbeit, die Bestandteil der traumasensiblen Körperarbeit ist (ISP®). Breathwork und die Arbeit mit dem Vagusnerven ist nicht losgelöst von einer tiefergehenden Gewahrseinspraxis gedacht. Das eine schließt das andere nicht aus. Im Gegenteil: Sie unterstützen den Prozess und führen immer tiefer in das eigene System hinein. In ein immer tiefer verstehenden Prozess der Gesamtheit und des Gewahrwerdens.
Die Polyvagal-Theorie von Dr. Stephen W. Porges bietet ein revolutionäres Verständnis darüber, wie unser autonomes Nervensystem auf Stress, Trauma und Sicherheit reagiert. Sie erklärt, dass unser Nervensystem in verschiedenen Zuständen arbeitet – von sozialer Verbundenheit bis hin zu Überlebensmechanismen wie Kampf, Flucht oder Erstarrung.
Breathwork (Atemarbeit) kann gezielt genutzt werden, um das Nervensystem zu regulieren, den Vagusnerv zu stimulieren und Sicherheit im Körper herzustellen. In diesem Artikel erforschen wir, wie Breathwork in Verbindung mit der Polyvagal-Theorie dazu beiträgt, Trauma zu integrieren und Resilienz zu fördern.
1. Die Polyvagal-Theorie: Ein neues Verständnis des Nervensystems
Dr. Stephen W. Porges entwickelte die Polyvagal-Theorie als Erweiterung der klassischen Unterteilung des autonomen Nervensystems in Sympathikus (Aktivierung) und Parasympathikus (Entspannung).
Der symphatische Anteil des Nervensystems ist ein Teil, der sich bereits zur Gründung unseres Seins entwickelt hat. Der parasympathische Anteil jedoch ist noch nicht so alt und gilt als ein immer noch zu verstehendes Momentum. Wie wirkt sich das parasymapathische Nervensystem in uns aus? Wie wirkt es, mit was spielt es zusammen? Viele dieser Fragen versuchen seit Jahrzehnten PsychologInnen und Therapeuten aus unterschiedlichen Genres zu erforschen und zu erfahren. Stephen W. Porges Forschung zeigt, dass der Parasympathikus zwei unterschiedliche Zweige hat, die entscheidend für unser emotionales und körperliches Wohlbefinden sind:
Der ventrale Vagus (soziale Sicherheit & Verbindung)
Fördert Entspannung, soziale Interaktion und emotionale Stabilität.
Ist aktiv, wenn wir uns sicher, verbunden und präsent fühlen.
Der sympathische Zweig (Kampf- oder Fluchtmodus)
Wird aktiviert, wenn der Körper eine Bedrohung wahrnimmt.
Führt zu erhöhter Herzfrequenz, Anspannung und Flucht-/Kampfreaktionen.
Der dorsale Vagus (Erstarrung & Dissoziation)
Wird aktiv, wenn Flucht oder Kampf nicht möglich sind.
Kann sich in Taubheit, Lethargie oder Dissoziation äußern.
Trauma und das autonome Nervensystem
Wenn ein Mensch ein Trauma erlebt, kann sein Nervensystem in einem dieser Zustände „stecken bleiben“. Beispielsweise können chronischer Stress oder unverarbeitete Traumata dazu führen, dass der Körper dauerhaft im Kampf-/Fluchtmodus (Sympathikus) oder im Erstarrungsmodus (dorsaler Vagus) bleibt.
Breathwork bietet eine effektive Möglichkeit, diesen dysregulierten Zuständen zu begegnen und das Nervensystem wieder in Balance zu bringen. Die Frage an dieser Stelle, die du dir eventuell stellst: WIE?
Dann lies weiter:
2. Wie Breathwork das Nervensystem beeinflusst
Der Atem ist eine der wenigen autonomen Körperfunktionen, die wir bewusst steuern können. Das bedeutet, dass wir direkt Einfluss auf unser Nervensystem nehmen können, indem wir unseren Atemrhythmus gezielt verändern.
Breathwork und der Vagusnerv
Der Vagusnerv (Hauptbestandteil des Parasympathikus) spielt eine zentrale Rolle in der Polyvagal-Theorie. Er erstreckt sich vom Hirnstamm über den Hals, das Herz, die Lunge und den Darm. Durch bestimmte Atemtechniken können wir den Vagusnerv aktivieren und so:
Die Herzfrequenz senken
Stress reduzieren
Gefühle von Sicherheit und Ruhe verstärken
Dissoziation und Erstarrung auflösen
Zugang zu Emotionen ermöglichen
Es ist erstaunlich, wenn du Breathwork als ein Bestandteil deiner Tagesroutine einbaust, wie sich dein System an die tiefe entspannte Atmung gewöhnt. Ich selbst führe (fast) jeden Tag eine bewusste Atempraxis durch und kann dadurch vieles in mir entspannen, kann erfahren, was genau angespannt ist und mir dessen bewusst werden, ohne es zu verurteilen. Der Atem wird jetzt erfahren und wir können auf Emotionen auch im Jetzt zugreifen.
3. Atemtechniken für die Regulation des Nervensystems
1. Vagusnerv-stimulierende Atemtechniken (ventraler Vagus – Sicherheit & Präsenz)
Diese Techniken aktivieren den ventralen Vagus, der für soziale Verbundenheit und Entspannung sorgt. Sie sind besonders hilfreich bei Angstzuständen, Stress oder Panikattacken. Dies ist nur eine kleine Auswahl. In meiner Praxis gibt es unterschiedliche Methoden, die ich hier nicht anführen möchte, als sie nur beim Namen zu nennen. Da sei z.B: die TAMMO- Atmung, die BOTENKO-Atmung, BOX-BREATHING, Dreifachige Atmung,
Bauch-Herzraum-Atmung und vieles mehr.
Kohärente Atmung (6-6-Atmung)
6 Sekunden einatmen, 6 Sekunden ausatmen
Fördert Gleichgewicht im autonomen Nervensystem
Hilft, in den Zustand sozialer Sicherheit zu gelangen
Verlängertes Ausatmen (4-7-8-Atmung)
4 Sekunden einatmen, 7 Sekunden halten, 8 Sekunden ausatmen
Stimuliert den Vagusnerv und beruhigt das Herz
Ideal zur Stressbewältigung und Angstlösung
Summendes Atmen („Bhramari Breath“)
Tief einatmen, beim Ausatmen summen (z. B. ein langes „Mmm“ oder „Om“)
Die Vibration stimuliert den Vagusnerv und beruhigt das Nervensystem
Besonders wirksam bei Schlafstörungen und emotionaler Unruhe
8-12 Atmung
8 Sekunden einatmen, 12 Sekunden ausatmen
Durch diese langsame Atmung wird der Vagus und das Herz beruhigt.
Es hilft einen klaren und gelassenen Zustand zu erlangen.
2. Aktivierende Atemtechniken (Sympathikus – Energie & Trauma-Release)
Diese Techniken helfen, wenn der Körper im dorsalen Vagus-Zustand (Erstarrung, Dissoziation) steckt. Sie bringen Energie in den Körper zurück und fördern die emotionale Verarbeitung.
Verbundenes Atmen (Rebirthing, Holotropes Atmen)
Tief, kontinuierlich und ohne Pause atmen
Bringt unterdrückte Emotionen ins Bewusstsein
Kann helfen, Traumaenergie sicher freizusetzen
Box Breathing (4-4-4-4)
4 Sekunden einatmen, 4 Sekunden halten, 4 Sekunden ausatmen, 4 Sekunden halten
Schafft Balance zwischen Aktivierung und Entspannung
Ideal zur Regulierung von Anspannung und Überforderung
Breath of Fire (Kapalabhati)
Schnelle, kurze Ausatmungen mit passiven Einatmungen
Aktiviert den Sympathikus und bringt stagnierende Energie in Fluss
Hilft, Starre und Müdigkeit aufzulösen
Wichtig: Bei tiefsitzenden Traumata sollten intensive Atemtechniken nur mit professioneller Begleitung durchgeführt werden, da sie starke emotionale Reaktionen hervorrufen können.
Auch hier gibt es noch weitere Techniken, die den Sympathikus aktivieren. Dazu gehört zum Beispiel auch das Luftanhalten im Ein- oder im Ausatemzustand. Dies schenkt dir die Möglichkeit, dich bewusster in das Feld des Nichts zu erfahren und zu spüren, wie es ist, im vollen oder im leeren Zustand den Atem anzuhalten.
4. Wie Breathwork zur Traumaheilung beiträgt
Sicherheit im Körper wiederherstellen:
Durch langsame, bewusste Atmung kann der Körper lernen, sich sicher zu fühlen.
Dissoziation überwinden:
Sanfte Atemtechniken helfen, die Verbindung zum Körper wiederherzustellen.
Emotionale Integration ermöglichen:
Breathwork kann unbewusste Emotionen freisetzen und Heilung unterstützen.
Den Vagusnerv stärken:
Regelmäßige Atempraxis fördert langfristige Resilienz und emotionale Stabilität.
Breathwork als Brücke zwischen Körper und Nervensystem
Die Polyvagal-Theorie zeigt, dass Trauma tief im Nervensystem verwurzelt ist. Breathwork ist eine direkte Möglichkeit, den Körper zu regulieren, den Vagusnerv zu stimulieren und emotionale Sicherheit zu schaffen.
Durch gezielte Atemtechniken können wir das Nervensystem aus dem Kampf-, Flucht- oder Erstarrungsmodus zurück in einen Zustand der Verbundenheit, Ruhe und Resilienz führen.
Wie Stephen Porges sagt:
„Sicherheit ist die Grundlage für Heilung.“
Breathwork kann uns helfen, diese Sicherheit in uns selbst wiederzufinden.
In meiner Arbeit fließt immer mehr die Atempraxis mit ein, sei es in die Massage oder in Gesprächssitzungen, denn durch die Atmung schaffen wir einen Raum, der dich jetzt spüren lässt und dir eine Gelegenheit schenkt, dich im Jetzt mit dir selbst zu verbinden und im sicheren Zustand der Jetzt dir Gewahr zu werden.
Darin liegt meiner Meinung nach, der größte Schatz einer tieferen Integration des Erlebten.
Denn Heilung ist nicht das Wegmachen vom alten Schmerz, sondern ein tieferes Verständnis und die Erfahrung der Integration und der Zuneigung zur Vergangenheit. Wie schlimm sie auch war.
Dazu wird es in den nächsten Blogartikeln gehen.
Alles Liebe zu dir
Deine Ina Fabijenna
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