Die Polyvagal-Theorie und ihre Anwendung in der Therapie: Ein tiefgehender Blick auf Sicherheit, Regulation und Heilung
- Ina Marino
- vor 6 Tagen
- 5 Min. Lesezeit

Heute möchte ich euch einen Einblick in die Polyvagal-Theorie geben, der in meiner Arbeit anteilig miteinfließt. Das Nervensystem in seiner Form bekommt immer mehr Interesse in den verschiedenen Therapieansätzen, der Körpertherapie, als auch in der Gestalt- und Traumatherapie. In den letzten Jahren wurde das Verständnis über die Wirksamkeit unserer sympathischen und parasympathischen Anteile und dem Anteil des Vagusnerves immer tiefer durchdrungen und es ist klar, dass sich unsere Gesellschaft oftmals im sympathischen Reaktionsmuster befindet.
Das Ausatmen, bewusstes Entspannen und den Körper fühlen und fühlen lassen ist nachwievor eine unverstandene Aktion, die wir zur "Gesundung in uns" benötigen. Immer mehr Menschen "leiden" unter dem "Allzeit-bereit-Syndrom" und geraten emotional, geistig und körperlich in eine Schieflage.
Meine Arbeit konzentriert sich darauf, einen Raum zu schaffen, in dem sich der Mensch tief in sich selbst erkunden kann. Was bedeutet dies?
Im Alltäglichen sind wir oft in unserer Gedankenwelt eingesperrt. Wir denken über die Arbeit, über Menschen, über die Vergangenheit nach, lassen uns von unsererm inneren Kritikerinnen Glaubenssätze und negative Gedanken "erzählen", die wir "glauben.
Was dabei verloren geht, ist das Jetzt und das "Fühlen" in den restlichen 90% unseres Körpers. Wir entkoppeln den Verstand und er wird übermächtig.
In meinen Räumen, geht es darum, die Verstandesebene einzuladen, für einen kleinen Moment Pause zu nehmen und sich mit dem Rest zu verbinden.
Sich auf die Körperebene zu konzentrieren, ermöglicht einen neuen Blick auf bestimmte Realitäten zu erlangen. Die Art undWeise der Betrachtung ermöglicht es, eine neue, eine erweiterte Haltung zu erlangen. Es ermöglicht auch einen Augenblick des längeren Ausatmens und damit den eigenen Erfahrungen eine neue Richtung zu schenken.
Um einen kleinwenig Verständnis für die Arbeit, die du hier erfahren kannst zu bekommen, wird im nachfolgenden Text die Polyvagaltheorie von Dr. Stephen W. Porges vorgestellt. Viel Freude beim Lesen:
Die Polyvagal-Theorie von Dr. Stephen W. Porges hat das Verständnis von Trauma, Stress und Nervensystemregulation revolutioniert. Sie zeigt, dass unser autonomes Nervensystem nicht nur zwischen Aktivierung (Sympathikus) und Entspannung (Parasympathikus) wechselt, sondern in drei unterschiedliche Zustände eingeteilt werden kann. Diese Zustände beeinflussen, wie wir auf Stress, Beziehungen und Trauma reagieren.
In diesem Artikel tauchen wir tief in die Theorie und Praxis der Polyvagal-Therapie ein. Wir beleuchten, wie sie die Arbeit mit Trauma transformiert und wie wir sie im Alltag nutzen können – durch Atemarbeit, Bewegung, soziale Interaktion und körperorientierte Methoden.
1. Die Grundlagen der Polyvagal-Theorie:
Das Nervensystem als Sicherheitsnavigator
Das autonome Nervensystem (ANS) reguliert automatisch Körperfunktionen wie Herzschlag, Atmung und Verdauung. In der klassischen Sichtweise wird das ANS in zwei Hauptbereiche unterteilt:
Sympathikus: Aktiviert den Kampf- oder Fluchtmodus („Fight, Flight or Freeze“).
Parasympathikus: Beruhigt den Körper und fördert Entspannung.
Doch Stephen Porges erkannte, dass diese Unterteilung nicht ausreicht, um menschliches Verhalten vollständig zu erklären. Er stellte fest, dass es zwei verschiedene Zweige des Parasympathikus gibt, die auf unterschiedliche Weise das Überleben und soziale Interaktion beeinflussen:
Der ventrale Vagus (Sicherheitsmodus – Soziale Verbundenheit & Entspannung)
Fördert Ruhe, Verbindung, Empathie, Kreativität & Heilung
Ermöglicht den Zugang zu höheren kognitiven Funktionen
Unterstützt gesunde Beziehungen und emotionale Regulation
Der sympathische Zweig (Überlebensmodus – Kampf oder Flucht)
Wird aktiviert, wenn der Körper eine Bedrohung wahrnimmt
Erhöht Herzfrequenz, Muskelspannung & Energieverbrauch
Lässt den Körper in einen reaktiven Zustand gehen (Angriff oder Flucht)
Der dorsale Vagus (Erstarrungsmodus – Dissoziation & Rückzug)
Schaltet das System herunter, wenn Flucht oder Kampf nicht möglich sind
Führt zu Gefühlen von Taubheit, Erschöpfung, Hoffnungslosigkeit & Dissoziation
Ähnelt einem „Shutdown“, um Überwältigung zu vermeiden
💡 Das zentrale Prinzip: Unser Nervensystem ist hierarchisch organisiert. Je nachdem, ob wir uns sicher oder bedroht fühlen, wechseln wir zwischen diesen Zuständen.
Sicherheit = Ventrale Vagusaktivierung (Verbundenheit & Entspannung)
Bedrohung = Sympathikus (Kampf oder Flucht)
Extreme Überforderung = Dorsaler Vagus (Erstarrung & Dissoziation)
2. Polyvagal-Theorie und Trauma:
Warum Sicherheit der Schlüssel zur Heilung ist
Was passiert bei Trauma?
Ein Trauma entsteht, wenn unser Nervensystem eine überwältigende Erfahrung nicht vollständig verarbeiten kann. Oft bleiben wir unbewusst in einem dysregulierten Zustand stecken:
Chronische Anspannung (Sympathikus-Überaktivierung) → Angst, Hypervigilanz (erhöhte Wachheit), Wut, Unruhe
Emotionale Taubheit (Dorsale Vagus-Dominanz) → Dissoziation, Rückzug, Depression, Erschöpfung
Viele Menschen mit Trauma erleben den Wechsel zwischen diesen Zuständen – sie fühlen sich entweder überreizt (ängstlich, getrieben, nervös) oder abgekapselt (leer, abgeschnitten, erschöpft).
💡 Heilung geschieht nicht durch das „Bearbeiten“ von Trauma, sondern durch die Wiederherstellung von Sicherheit im Körper.
Hier setzt die Polyvagal-Therapie an: Sie schafft ein Umfeld, in dem sich das Nervensystem neu regulieren kann – durch bewusstes Erleben von Sicherheit, Körperwahrnehmung und soziale Verbundenheit.
3. Praktische Anwendung der Polyvagal-Therapie: Wie wir das Nervensystem regulieren können
Die Polyvagal-Therapie nutzt gezielte körperorientierte Methoden, um das Nervensystem aus der Erstarrung oder dem Kampf-/Fluchtmodus zurück in den Zustand sozialer Sicherheit zu führen.
1. Atemarbeit zur Vagusnerv-Stimulation
Da der Vagusnerv die Verbindung zwischen Gehirn, Herz und Verdauungssystem bildet, kann er gezielt durch den Atem beeinflusst werden.
🔹 Kohärente Atmung (6-6-Atmung) – Für Balance im Nervensystem
Wie? Atme 6 Sekunden ein, dann 6 Sekunden aus.
Warum? Diese Atemfrequenz (ca. 5-6 Atemzüge pro Minute) harmonisiert das autonome Nervensystem, senkt den Herzschlag und fördert Entspannung.
Wann anwenden? Bei Unruhe, Angst oder Panikattacken.
🔹 Summendes Atmen („Bhramari Breath“) – Vibration zur Beruhigung
Wie? Tief einatmen, beim Ausatmen summen („Mmm“, "Humming" oder „Om“).
Warum? Die Vibration stimuliert den Vagusnerv und sorgt für ein tiefes Gefühl von Beruhigung.
Wann anwenden? Bei Angst, Schlafproblemen oder innerer Unruhe.
🔹 Verlängertes Ausatmen (4-7-8-Technik) – Für tiefe Entspannung
Wie? 4 Sekunden einatmen, 7 Sekunden halten, 8 Sekunden ausatmen.
Warum? Das lange Ausatmen aktiviert den ventralen Vagus, der für Entspannung zuständig ist.
Wann anwenden? Vor dem Schlafengehen oder in stressigen Momenten.
2. Körperliche Bewegung zur Regulation
Bewegung spielt eine entscheidende Rolle in der Traumaheilung, da sie gestaute Energie freisetzt und die Selbstregulation unterstützt.
a) Neurogenes Zittern (TRE-Methode) – "Traumaenergie" lösen
Wie? Bestimmte Körperhaltungen lösen unwillkürliches Muskelzittern aus.
Warum? Dieses Zittern ist eine natürliche Reaktion des Körpers, um Stress und Trauma abzubauen.
Wann anwenden? Bei chronischer Anspannung oder Restenergie nach einer Stressreaktion.
b) Freies Tanzen & intuitive Bewegung – Für Verbindung mit dem Körper
Wie? Bewege dich spontan zur Musik, ohne feste Struktur.
Warum? Tanz bringt Menschen in den ventralen Vagus-Zustand – hin zu Freude, Lebendigkeit und sozialer Verbundenheit.
Wann anwenden? Bei Antriebslosigkeit oder wenn man sich emotional abgeschnitten fühlt.
c) Gähnen, Seufzen & Dehnen – Kleine, aber effektive Methoden
Wie? Erlaube dir bewusst zu gähnen oder tief zu seufzen.
Warum? Diese Reflexe sind natürliche Wege, das Nervensystem zu regulieren.
Wann anwenden? Nach stressigen Gesprächen oder bei innerer Anspannung.
3. Soziale Verbundenheit als Heilungsweg
Ein zentrales Konzept der Polyvagal-Theorie ist, dass soziale Sicherheit und Verbindung das Nervensystem beruhigen.
🔹 Blickkontakt & sanfte Berührung
Augenkontakt mit einer vertrauten Person aktiviert den ventralen Vagus
Sanfte Berührungen (z. B. Hand auf dem Herzen) vermitteln dem Körper Sicherheit
🔹 Gemeinsames Singen oder Summen
Musik und Klang fördern Sicherheit und soziale Verbindung
Chanten, Mantras oder gemeinsames Singen regulieren das Nervensystem
🔹 Spiel & Leichtigkeit
Humor und kreative Aktivitäten helfen, aus dysregulierten Zuständen herauszukommen
Fördert eine entspannte Interaktion mit der Umwelt
Die Polyvagal-Therapie als Brücke zwischen Trauma und Heilung
Die Polyvagal-Theorie zeigt, dass Heilung nicht nur durch Gespräche geschieht, sondern durch den Körper. Die wichtigsten Wege zur Regulation sind Atemarbeit, Bewegung und soziale Sicherheit.
💡 Zusammenfassung der Hauptstrategien:
Atemtechniken, um den Vagusnerv zu stimulieren und das Nervensystem zu beruhigen.
Bewegung, um Traumaenergie sicher abzubauen.
Soziale Interaktion, um Sicherheit und Verbundenheit zu stärken.
🔹 Heilung bedeutet, wieder Zugang zu Entspannung, Freude und Verbundenheit zu finden.
🔹 Regulierung des Nervensystems ist der Schlüssel zu langfristigem Wohlbefinden.
🔹 Jeder Mensch kann lernen, sein eigenes Nervensystem bewusst zu steuern.
-->Der Weg aus Trauma führt über den Körper – zurück zur Sicherheit, zurück zu sich selbst.
Diese Form der Unterstützung biete ich dir an.
Innerhalb der Sitzungen werden wir auf verschiedenen Ebenen dein Körperfeld erkunden und durch verschiedene Ansätze der Therapieform unterstützen. Sei es durch Breathwork, Gewahrseinspraxis, neurogenem Zittern, durch Grenzerfahrungen und Köperarbeit.
Die Körpertherapie ist vielfältig, sodass es für die Person, die sich ihr hingibt, einen Weg unter die Füße legt, sich selbst zu begegnen und sich auf tiefer Ebene erkennen lässt.
In aller Verbundenheit
Deine Ina Fabijenna
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